Weil ich gerade so mit der ausnahmsweise pünktlichen Bahn meinem Ziel entgegenfahre, fällt mir gerade mein letzter Urlaub ein.
Ja, selbst Unimitarbeiter bekommen hin und wieder Urlaub. Oder zumindest wollen sie sich ein verlängertes Wochenende an der See gönnen. Was liegt da näher, Brückentage zu nutzen, um auch mal während des Semesters für vier Tage wegzukommen. Gesagt, getan. Nettes Hotel auf Rügen gesucht, Bahntickets für mich und mein Rad – mit genügend Puffer zum Umstieg – Nicht, dass die Bahn hin und wieder unpünktlich wäre, nein, die doch nicht.
Jetzt nur noch auf die Feiertage warten.
Dummerweise war am Abfahrtstag bis Mittag Seminar, aber die Zeit bis zur Abfahrt sollte in jedem Fall reichen, das Auto in Bahnhofsnähe zu deponieren und mit Gepäck die kleine Reststrecke zum Bahnhof zu radeln. Der Bahngott, der mich sonst eher nicht verwöhnt, hoffte ich würde Einsehen haben. Zumindest kam ich pünktlich weg, nur der übliche Nachmittagsstau, aber der war eh eingeplant.
Wäre da nicht die SMS der Bahn gewesen: „Wegen einer Oberleitungsstörung entfallen alle Züge in Ihrems Abfahrtsbahnhof“. Schock. Einige Hotlineminuten und Euros später hatte ich zusammen mit der Nicht-Mitarbeiterin („Wenden Sie sich doch vor Ort an den Service-Point!“ „Ich bin erst auf dem Weg zum Bahnhof. Und jetzt habe ich noch die Möglichkeit, einen anderen Startbahnhof kurzfristig zu wählen“ „Ja, aber die wissen doch, wo wieder was fährt“ „Ja, aber das ist die einzige Verbindung, wo ich ab Berlin noch zur Ostsee komme, also kann ich jetzt nicht zwei Stunden in meinem Startbahnhof an der Info hängen…“ „Na gut, versuchen wir es mal…“) herausgefunden, dass ich rund 30 km weiter fahren musste, dort würden die Züge wieder fahren.
Autobahn sei Dank – es klappte. Wenn auch nur unter Einsatz von rund 20 Euro für einen Parkplatz. Denn keine Ahnung, wo ich in diesem Ort, den ich eigentlich nur vom Vorbeifahren kenne, einen kostenfreien Parkplatz gefunden hätte. Also erste Hürde – Regionalbahn für die ersten 100 km – war geschafft. Erschöpft lehnt sich der Reisende zurück und hofft, dass das die einzige Panne gewesen sein möge. Pünktlich kommt man auch beim ersten Umstieg an. Ebenso pünktlich steht der nächste Zug schon bereit. Toll, scheint ja mal alles zu klappen!
Zu früh gefreut.
Eigentlich hätten wir schon drei Minuten unterwegs sein müssen, stehen aber noch im Bahnhof. Weitere drei Minuten später geht ein netter Herr in Bahntracht durch den Zug: „Alles aussteigen, wir haben einen Triebwagenschaden!“ Ja, ja, Scherzle gemacht? Nö. Leider nicht. Das 30 min-Polster für den nächsten Umstieg schmilzt gerade dahin. Einige Zeit später trifft dann ein weiterer Zug ein, der uns aufliest. Eigentlich war es schon der Nachfolgezug. Hm, Umstieg am nächsten Bahnhof von Gleis 1 auf Gleis 6 in einer Minute klingt – mit Rad und Gepäck – sehr sportlich. Verdammt. Die Live-Verfolgung der Verspätungen via Mobilseite der Bahn tröstet etwas – auch der Nachfolgezug, in den ich wechseln musste, hatte Verspätung. Damit waren es doch wieder 5 min für den Umstieg. Immer noch 25 min weniger als ursprünglich geplant, aber machbar. Tatsächlich wurden es dann sogar noch einige Minuten mehr – die Verspätungsankündigung der Bahnwebsite untertreibt manchmal etwas. Macht aber nix, der vorletzte Umstieg hat wieder von Haus aus 25 min Puffer, da machen 10 min Verspätung nichts, vor allem wenn man das Gleis nicht wechseln muss.
Dachte ich. Bis hierher waren es nur Nahverkehrszüge. Für die Reststrecke nach Berlin war jetzt ein IC dran. Der natürlich prompt 15 min Verspätung hatte. Habe ich erwähnt, dass nur ein Umstieg eng geplant war mit 12 min, und zwar der letzte in Berlin? Nein? Tja, mein Fehler, so zu planen. Eigentlich hätte ich es besser wissen sollen.
Der ja durchaus nette Zugbegleiter dieses IC konnte meine Bedenken gut nachvollziehen und telefonierte, ob ich den Zug nach Rügen noch erreichen würde. Ja, kein Problem, der wäre auch verspätet, außerdem wartet der Nahverkehr ja eh, umso eher, wenn sie Bescheid wüssten… Puh, wenigstens eine gute Nachricht. Aber irgendwie… Irgendwie hatte ich ein dummes Gefühl im Magen.
Bei der Einfahrt in Berlin-Gesundbrunnen guckte der Schaffner neben mir nochmal aus dem Fenster: „Ach, schauen Sie, der ist noch gar nicht da! Alles kein Problem!“ Stimmt, der Bahnsteig nebenan überfüllt, das Gleis aber leer. Wunderbar! Einmal hat so eine Verspätung doch auch Gutes. Verdammt. Warum ist die Anzeigetafel an „meinem“ Gleis aber dunkel? Ah, fragen wir doch mal die beiden Bahnmitarbeiter dort hinten am Bahnsteig. „Der Zug nach Rügen? Der ist schon lang weg! Der war eh verspätet, da konnte der nicht auch noch auf einen verspäteten IC warten!“ Wie bitte? Und jetzt? „Ja, hier ist niemand mehr, wir haben auch schon Feierabend, müssen Sie zurück zum Hauptbahnhof, dort hat der Service noch bis 21 Uhr offen. Oh, nein, das schaffen Sie nicht mehr. Ja dann, müssen Sie sich halt ein Hotel suchen…“Gut, dass ich dank Gepäck und Rad die Hände voll hatte, sonst hätte ich kurzfristig umgebucht – nach Schweden. Oder zumindest hinter die gleichnamigen Gardinen. Wegen Lustmordes oder so.
War auch nicht so, dass ich alleine mit meinem Problem gewesen wäre. Nein, auf diese Weise sind noch einige am für die Nervengesundheit eher abträglichen Brunnen gestrandet. Ein Teil davon konnte durch Abholung per PKW oder andere Strecken noch umdisponieren. Der Rest – mich eingeschlossen – bekam von den Umstehenden den Rat, doch in den gleich kommenden Zug nach Rostock zu steigen, da käme man nochmal quer, man müsste nochmal irgendwo in der Pampa umsteigen. Dass mein Ticket mit Zugbindung in diese Richtung eigentlich nicht galt, egal. Hauptsache von diesem Nabel der Welt weg.
Wer sich das ausgedacht hat, dass die Fernverbindungen in der Regel nicht im Hauptbahnhof, sondern in Gesundbrunnen umsteigen sollen, der gehört auch… egal. Zurück zur Odyssee. Na ja, im Zug stellte sich heraus – ätsch, um diese Zeit fährt da quer kein Zug mehr. Und jetzt? Ein Hoch auf die Zugbegleiterin dieses Zuges, die ich aber auch erst kurz vor Rostock fand, da sie sich nicht kontrollierend durch den Zug bewegte, sondern in ihrem Kabäuschen neben dem Kaffeeautomaten saß (und ich mit Rad und Gepäck ja auch nicht so mobil war, um durch den Zug zu stapfen).
Warum? Nein, einen neuen Zug konnte sie auch nicht auftreiben. Aber da ja mehrere Leute gestrandet waren, verschaffte sie uns eine Taxifahrt(!) von Rostock nach Greifswald und Rügen, unseren Zielen. So macht man auch noch einen Taxifahrer glücklich, der im Übrigen ein absolutes Original war. Selten eine so lustige Fahrt erlebt – und auch selten einen Taxifahrer, der allen Klischees hinsichtlich des Fahrstils so gerecht wurde wie dieser.
Dumm nur, dass ich durch dieses Drama anstatt um halb elf erst gegen zwei Uhr im Hotel war, das versetzt dem Erholungseffekt einen heftigen Dämpfer und der Aktionismus für den folgenden Tag ist doch ganz gut gebremst. Na ja, jetzt bin ich da, habe den Vormittag beinahe verschlafen – mal gucken, wie ich in ein paar Tagen wieder heim finde. Notfalls halt über Rom oder so.